opening
Sunnday 2. April 2017, 4 p.m.
'Runghold', 56,50 x 35,50 x 26 cm, glass, 2015, Foto: Ute Zscharnt |
'Wo das Unsichtbare und die Vorstellungen anfangen, beginnt
dieses verführerische Schimmern'
Wita Noack im Gespräch mit Kai Schiemenz
Wita Noack Was geht dir
durch den Kopf, wenn du an diesen Ausstellungsort denkst?
Kai Schiemenz Die ganze
Geschichte!
WN Denkst Du an
deine Kindheit hier in der Gegend am Obersee? Meine Frage zielt ganz konkret
auf die Räume des Mies van der Rohe Hauses, denn deine Themen sind ja Raum,
Architektur und Skulptur. Und bei diesem Haus wurde der Raum schon einmal ganz
radikal neu definiert. Du zeigst hier Kunstwerke in einem Kunstwerk.
KS Ich kenne
dieses Haus seit meiner Kindheit, allerdings vor allem aus der Perspektive über
den Obersee. Da konnte ich nicht allzu viel erkennen. Erst später besuchte ich
hier die Ausstellung eines Kollegen. Da war ich zum ersten Mal hier und dachte:
Was für ein schöner Ort! Was für eine charmante Villa!
WN Du bist
Jahrgang 1966 und wurdest in Erfurt geboren. Wann bist du nach Berlin gekommen?
KS Mit zwei
Jahren. Ich habe hier um die Ecke in der Konrad-Wolf-Straße, die zu meiner Zeit
Berliner Straße hieß, gewohnt. Meine Eltern erzählten mir von diesem Haus, das
Mies van der Rohe gebaut hatte Alle waren damals ganz scharf auf das Bauhaus.
Für mich war aber die Regenwasserkanalisation am Obersee viel interessanter.
Dort sind wir immer reingekrabbelt und haben Forscher gespielt. Wir sind
eigentlich überall reingestiegen, auch in die alte Löwenbrauerei.
WN Liegt hier in
Hohenschönhausen auch der Beginn deiner künstlerischen Betätigung?
KS Ich glaube es
war eine Mischung aus kindlichem Forscherdrang und Freude am Fabrizieren. Meine
Eltern ermöglichten mir vieles. Ich bekam im ehemaligen Luftschutzkeller eine
Art Werkstatt eingerichtet, in der ich fast alles bauen konnte: Figuren, ein
U-Boot und vieles mehr. Ich erinnere mich, dass ich einmal einen Vogel
schnitzte, den ich in der Assyrischen Sammlung im Pergamonmuseum gesehen hatte.
Das ist eine der wenigen Arbeiten, die ich aus meiner Kindheit retten konnte.
Meine Eltern sind gerne mit mir in die Berliner Museen gegangen, und offenbar
habe ich diese Besuche auch genossen. Es gab beispielsweise eine Ausstellung
über die Kunst der Azteken, an die ich mich noch gut erinnern kann. Die wurde
damals im Foyer des Maxim Gorki Theaters gezeigt, glaube ich zumindest. Eine
großartige Ausstellung. Wenig später habe ich den Vorgarten meiner Eltern mit
‚riesigen‘ Aztekenköpfen verziert. So war das damals mit der künstlerischen
Betätigung.
Später zur Wendezeit habe ich hier in der Nähe an der
Kunsthochschule in Weißensee angefangen zu studieren. Das war für mich eine
Zeit des Aufbruchs. Für viele Lehrende war es wohl eher das Gegenteil. Deshalb
wechselte ich gleich an die UdK. Da konnte ich die ganze Westkunst aufsaugen …
WN … bei Lothar
Baumgarten.
KS Lothar
Baumgarten war gut, ebenso Katharina Sieverding. Es gab nicht viele, die mich
interessierten, denn die HdK, heute UdK, speiste sich aus Professoren, die in
den 1980er-Jahren meist als Maler berufen wurden. Was mich nicht weiter
berührte, denn mein eigentliches Interesse galt Fragen, die sich um meine
Herkunft, meine Ostvergangenheit drehten. Ich empfand es als Glück, dass ich
die Wende mit Anfang Zwanzig erlebte. Viele, die nur ein paar Jahre älter
waren, haben mit ihrer Kunst sehr weit entfernt vom öffentlichen Interesse
gestanden. Sie sind dann auch in der West-Kunst nicht mehr aufgetaucht. Eine
ganze Generation von Ostkünstlern ist im Westen unsichtbar geworden, vergessen.
Aber mein Interesse, in die Vergangenheit zu schauen, ging über die Zeit im
Osten hinaus hin zur Klassischen Moderne.
WN Kann man vor
dem Hintergrund der Moderne über den Osten reflektieren?
KS Ich denke: Das
ist das Bauhaus, das ist der Stil, der in die Gegenwart hineinragt. Man geht durch
das Haus Lemke, das heutige Mies van der Rohe Haus, und es ist alles so
erlesen, die Türgriffe, die Öffnungen und der kleine Innenhof...
Ich kann nicht genau sagen warum, aber in vielen meiner
Arbeiten beziehe ich mich auf die Moderne. Vielleicht liegt es daran, dass die
Moderne so stark in meine Kindheit hineinspielte oder dass letztendlich die
Moderne ja fast alles sein kann, was mit einem Umbruch zusammenhängt. Das Wort
selbst spricht ja von Gegenwart, von Neuzeit, von einem Irgendwie-mit-dabei-Sein
in einer neuen Zeit und hatte genau deshalb auch viel mit meiner Vergangenheit
im Osten zu tun.
‚Zukunft‘ war in der DDR eine wichtige Größe. Man bezog
sich immer auf Entwicklungen, die erst noch kommen sollten. Wir lebten im real
existierenden Sozialismus, aber jeder wusste, ‚das war eine Übergangszeit‘,
irgendwann würde der Kommunismus kommen, in dem es kein Eigentum mehr geben
sollte. Das Wort ‚Zukunft‘ gewann dadurch an Bedeutung. All die Bücher, die es
in meinem Bücherschrank gab, hatten etwas mit der Reise in die Zukunft, ins All
oder der Erforschung von etwas zu tun. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass
mich die Russische Moderne und der Konstruktivismus so berührten. Und dann ist
da noch ihr tragisches Scheitern. Es fiel mir nicht schwer, mich darauf zu
beziehen. Bei Mies war es anders, er war zum Schwergewicht geworden. Nachdem er
Deutschland in der Nazizeit hatte verlassen müssen, gehörte er dann zu den
führenden Architekten in den USA.
WN Haben auch
deine Archiskulpturen mit dem Thema Ost-Moderne zu tun?
KS Der russische
Konstruktivismus in den 1910er- und 20er-Jahren war auch eine politische
Bewegung. Nach dem Motto: Wir bauen etwas, was es eigentlich nicht gibt. Wir
erfinden ein neues Zusammenleben. Dieser Gedanke floss in der einen oder anderen
Weise in meine Skulpturen mit ein. Meine großen Skulpturen waren anfangs
begehbare Architekturmodelle, 1:1-Modelle, bei denen der Besucher unversehens
auf eine Bühne gestellt wird und sich in einer Situation wiederfindet, in der
er beim Beobachten beobachtet wird. Es lassen sich aber auch Ansätze aus
Performancekonzepten der 1960er-Jahren in ihnen finden.
WN Kommen wir
zurück zur Ausstellung: Die grüne Glasskulptur Rungholt scheint formal wieder
den Bogen zur Klassischen Moderne zu schließen. Du bist ja über die Thematik
„Glas“ in die von Julius Weiland konzipierte gleichnamige Ausstellungsreihe ins
Programm des Hauses gekommen: Was bekommen die Besucher hier zu sehen,
Glasskulpturen oder Rauminstallationen, oder beides?
KS In der
Ausstellung berühren sich zwei Themen. Als erstes natürlich das Thema Glas und
dann die Frage meines Umganges mit Mies van der Rohe und mit der Moderne.
Anfangs konnte ich mir vorstellen, eine Brücke zwischen beiden zu schlagen.
Später erschien mir die Brücke eher wie eine Grätsche, ein Spagat, der schwer
zu halten war, und jetzt bleibt es einfach beim Glas.
WN Was reizt dich
eigentlich so am Material Glas?
KS Bei Glas, wie
auch bei Wasser, kannst du durch die Oberfläche hindurchschauen. Glas ist dem
Abwesenden verwandt. Normalerweise endet die Sichtbarkeit direkt an der
Oberfläche von allem. Dahinter fangen die Vorstellungen und Mythen an. Und beim
Glas gibt es plötzlich dieses Darinnen, dieses Dahinter. Man schaut ins
Material hinein, da ist eine Blase, tiefer drinnen wird es dunkler und dann
bildet sich plötzlich negativ die Rückseite ab. Das heißt: Da wird etwas
hinzugefügt, was sich an der Oberfläche bricht. Wo das Unsichtbare und die
Vorstellungen anfangen, beginnt dieses verführerische Schimmern. Von dort ist
es dann auch nicht mehr weit bis zu einer Arbeit wie Rungholt. Rungholt ist
Teil einer Reihe von Skulpturen, die sich auf im Meer versunkene Städte
beziehen. Vineta, Rungholt, Rethra, Ys sind einige dieser Orte, die seitdem,
halb sagenhaft, halb historisch, den Horizont der Nord- und Ostsee mit
Fantasien beleben. Da geht es um Projektionen: etwa die Hybris einer Stadt und
die darauf folgende Katastrophe als Strafgericht der Götter, die von den Folgen
der Vermessenheit und dem Hochmut der Bürger der Stadt erzählt. Dieses
Imaginieren der Städte unter Wasser, so erscheint es mir, ist der Betrachtung
der Glasskulpturen ähnlich.
WN Du störst dich
nicht daran, dass das Material Glas mit seinen besonderen Eigenschaften
vielleicht auch zu schön wirken könnte?
KS Das ist grade
ein interessanter Aspekt: der Hang zum Kunstgewerblichen, zur Veredelung. Das
andere, was Glas so anziehend für Skulpturen macht, ist, dass sich der Prozess
der Umsetzung nur sehr schwer steuern lässt und dabei eigentlich fast nie das
Erwartete entsteht. Meine Skulpturen sind meist groß und grob. Manchmal gibt es
eine Fläche, die wie ein Fenster poliert wird. Diese Arbeiten haben eine starke
Verbindung zu meinen partizipativen Skulpturen. Sie laden den Besucher ein,
lächeln ihn erst mal an, wecken das Begehren. Sie verhalten sich so, als
wollten sie mit dem Betrachter die Position tauschen, ihn zum Erstarren
zwingen.
WN Deine
Glasskulpturen werden in Böhmen auf traditionelle Weise in einer Werkstatt in
Handarbeit hergestellt. Die einzelnen Schritte bei der Fabrikation des Glases
bleiben sichtbar. Du spielst mit der Materialität und thematisierst die
Bearbeitungsspuren.
KS Wo endet das
Kunstwerk und wo fängt es an? Natürlich sind die Glasskulpturen das Endprodukt.
Andererseits sind sie ein Speicher und Zeugen der Herstellung, und der Prozess
der Herstellung wiederum ist auch ein Prozess der Aufladung. In eine solche
Skulptur, fließt eine Menge Zeit, Geld und Energie, es fließt eine ganze Kette
von Kulturtechniken hinein. Erst kommt die Zeichnung, dann wandelt sich die
Idee in ein Modell aus Styropor um. Das wird zu den Glasmachern transportiert,
wo ein Silikonabdruck entsteht. Der wird zur Gussform, die mit Glasstücken
befüllt in den Ofen kommt und bei circa 1000 Grad in die Form schmilzt. Dieser
Prozess kann bis zu vier Wochen dauern. Danach kommt die Skulptur erkaltet aus
dem Ofen, wie ein roher Diamant in weißem Zuckerguss. Dieser wird beseitigt,
manchmal werden Überstände abgetragen, manchmal wird etwas poliert oder
geklebt. Du siehst, es ist ein sehr langer Prozess, bei dem eine Menge
schiefgehen kann. Immer wieder wird die Form in ein anderes Medium übersetzt.
Hinzukommt, dass alle Beteiligten eigene kulturelle Vorstellungen vom möglichen
Ergebnis haben. Diese fließen genauso in die Skulptur mit ein und beeinflussen
das Ergebnis. Alle diese Tätigkeiten bleiben in der einen oder anderen Weise in
der Skulptur sichtbar.
WN Lass uns noch
über die Arbeiten sprechen, die aus diesem Rahmen fallen. Du zeigst hier
erstmalig in einer Ausstellung zwei Köpfe. Sie sind aus Biskuitporzellan
gearbeitet und haben in der Stirn eine Glasintarsie.
KS Genau. In
diesem Fall mache ich es nicht aus Glas, sondern aus farbigem Kunststoff. Das
ist mein kleiner Tribut an das Thema der Moderne. Diese Skulpturen sind aus
einem Geist heraus entstanden, den ich mit dem Aufkommen der Moderne verbinde.
WN Inwiefern?
KS Die Moderne
hat viel mit Architektur zu tun, ob es sich um Malerei handelt, um Skulptur
oder um Farbenlehre. Die Architektur wird als einzigartige Kunst- und
Kulturrichtung wahrgenommen, eben wie das Beispiel dieser Villa. Auf der
anderen Seite brauche ich nur aus dem Fenster zu schauen, dann sehe ich diese
Plattenbauten, in denen sich auch die Idee des Bauhauses wiederfindet. Sie sind
jedoch nicht nur der Verbindung von Ästhetik und Funktionalität, sondern vor
allem der Ökonomie der Zeit geschuldet und haben kaum noch eine Verbindung zu
dieser herrlichen Villa.
WN Und die Köpfe?
KS Das ist eine
persönliche Geschichte. Ich verbrachte die Sommerferien immer bei meinen
Großeltern. Es war eine großartige Zeit, weil ich viel mir selbst überlassen
war. Meine Großeltern wohnten in der Nähe von Gotha, in Neudietendorf. Sie
hatten im Wohnzimmer über dem Fernseher Porzellanrepliken von den berühmten
Stifterfiguren aus dem Naumburger Dom. Ich war fasziniert von diesen zwei
Köpfen, die vom Mittelalter zeugen sollten und über dem West-Farbfernseher
hingen.
WN Und jetzt
stehen Reminiszenzen an diese Figuren, mit einer Einlegearbeit versehen, in
deiner Ausstellung?
KS Ich verwende
in der Ausstellung andere Porzellanköpfe, die nicht so direkt auf die Uta
weisen, denn die Uta ist in den 1930er-Jahren zur Nationalikone und First Lady
der Deutschen stilisiert worden. Aber die ursprüngliche Idee der Arbeit bezieht
sich auf die originale Stifter-Figurengruppe aus dem Naumburger Dom mit der
schönen Uta und dem Ekkehard. In den 1930er-Jahren fing man jedoch an, die Uta
als Wandbüste oder Fotografie millionenfach zu vervielfältigen, sie fand sich
so in vielen Wohnzimmern als Replik wieder. In dieser Vervielfältigung steht
die Uta-Figur eben nicht für das Mittelalter, sondern für ihren Missbrauch in
der Moderne.
WN Wie passt das
mit dem Mies van der Rohe Haus zusammen?
KS Die Moderne
und die industrielle Massenproduktion sind Teil voneinander. Das Haus Lemke ist
da eher ein Sahnehäubchen der Moderne.
WN Und in den
Köpfen für die Ausstellung bringst du diese Welten nun zusammen?
KS Ich zitiere
Bauhaus-Malerei, wie Walter Dexel oder El Lissitzky, und diese Zitate werden
auf die Gesichter projiziert und als Intarsie eingelegt. So treffen in der
Skulptur zwei verschiedene Arten von Kulturverständnis zusammen, die fast
unabhängig voneinander, aber zur gleichen Zeit nebeneinander existierten. Der
Schlüssel ist die industrielle Produktion.
WN Über die
Jahrhunderte und Stilrichtungen hinweg hast du in einer Collage das
zusammengebracht, was unmöglich zusammengehört. Ist das auch eine Kritik an
erstarrten Formen?
KS Das ist
Sampling. Man legt eins in das andere, blendet sie ineinander und plötzlich
entsteht etwas Drittes. Manchmal funktioniert es.
WN Vielen Dank
für das Gespräch