Mittwoch, 3. Mai 2017

Kai Schiemenz 'IN FARBE'

Solo exhibition at Mies van der Rohe Haus, Berlin

opening Sunnday 2. April 2017, 4 p.m.
 
 

'Runghold', 56,50 x 35,50 x 26 cm, glass, 2015, Foto: Ute Zscharnt


'Wo das Unsichtbare und die Vorstellungen anfangen, beginnt dieses verführerische Schimmern'
 
Wita Noack im Gespräch mit Kai Schiemenz
 
Wita Noack     Was geht dir durch den Kopf, wenn du an diesen Ausstellungsort denkst?  
Kai Schiemenz     Die ganze Geschichte! 
WN    Denkst Du an deine Kindheit hier in der Gegend am Obersee? Meine Frage zielt ganz konkret auf die Räume des Mies van der Rohe Hauses, denn deine Themen sind ja Raum, Architektur und Skulptur. Und bei diesem Haus wurde der Raum schon einmal ganz radikal neu definiert. Du zeigst hier Kunstwerke in einem Kunstwerk.
KS    Ich kenne dieses Haus seit meiner Kindheit, allerdings vor allem aus der Perspektive über den Obersee. Da konnte ich nicht allzu viel erkennen. Erst später besuchte ich hier die Ausstellung eines Kollegen. Da war ich zum ersten Mal hier und dachte: Was für ein schöner Ort! Was für eine charmante Villa!


'Säule I', glass, 112 × 24 × 23 cm, 2016, Foto: Ute Zscharnt

WN    Du bist Jahrgang 1966 und wurdest in Erfurt geboren. Wann bist du nach Berlin gekommen?
KS    Mit zwei Jahren. Ich habe hier um die Ecke in der Konrad-Wolf-Straße, die zu meiner Zeit Berliner Straße hieß, gewohnt. Meine Eltern erzählten mir von diesem Haus, das Mies van der Rohe gebaut hatte Alle waren damals ganz scharf auf das Bauhaus. Für mich war aber die Regenwasserkanalisation am Obersee viel interessanter. Dort sind wir immer reingekrabbelt und haben Forscher gespielt. Wir sind eigentlich überall reingestiegen, auch in die alte Löwenbrauerei.
WN    Liegt hier in Hohenschönhausen auch der Beginn deiner künstlerischen Betätigung?  
 
 
 
KS    Ich glaube es war eine Mischung aus kindlichem Forscherdrang und Freude am Fabrizieren. Meine Eltern ermöglichten mir vieles. Ich bekam im ehemaligen Luftschutzkeller eine Art Werkstatt eingerichtet, in der ich fast alles bauen konnte: Figuren, ein U-Boot und vieles mehr. Ich erinnere mich, dass ich einmal einen Vogel schnitzte, den ich in der Assyrischen Sammlung im Pergamonmuseum gesehen hatte. Das ist eine der wenigen Arbeiten, die ich aus meiner Kindheit retten konnte. Meine Eltern sind gerne mit mir in die Berliner Museen gegangen, und offenbar habe ich diese Besuche auch genossen. Es gab beispielsweise eine Ausstellung über die Kunst der Azteken, an die ich mich noch gut erinnern kann. Die wurde damals im Foyer des Maxim Gorki Theaters gezeigt, glaube ich zumindest. Eine großartige Ausstellung. Wenig später habe ich den Vorgarten meiner Eltern mit ‚riesigen‘ Aztekenköpfen verziert. So war das damals mit der künstlerischen Betätigung.
Später zur Wendezeit habe ich hier in der Nähe an der Kunsthochschule in Weißensee angefangen zu studieren. Das war für mich eine Zeit des Aufbruchs. Für viele Lehrende war es wohl eher das Gegenteil. Deshalb wechselte ich gleich an die UdK. Da konnte ich die ganze Westkunst aufsaugen …
WN    … bei Lothar Baumgarten.
KS    Lothar Baumgarten war gut, ebenso Katharina Sieverding. Es gab nicht viele, die mich interessierten, denn die HdK, heute UdK, speiste sich aus Professoren, die in den 1980er-Jahren meist als Maler berufen wurden. Was mich nicht weiter berührte, denn mein eigentliches Interesse galt Fragen, die sich um meine Herkunft, meine Ostvergangenheit drehten. Ich empfand es als Glück, dass ich die Wende mit Anfang Zwanzig erlebte. Viele, die nur ein paar Jahre älter waren, haben mit ihrer Kunst sehr weit entfernt vom öffentlichen Interesse gestanden. Sie sind dann auch in der West-Kunst nicht mehr aufgetaucht. Eine ganze Generation von Ostkünstlern ist im Westen unsichtbar geworden, vergessen. Aber mein Interesse, in die Vergangenheit zu schauen, ging über die Zeit im Osten hinaus hin zur Klassischen Moderne.
 
 
 
 
 
 
WN    Kann man vor dem Hintergrund der Moderne über den Osten reflektieren?
KS    Ich denke: Das ist das Bauhaus, das ist der Stil, der in die Gegenwart hineinragt. Man geht durch das Haus Lemke, das heutige Mies van der Rohe Haus, und es ist alles so erlesen, die Türgriffe, die Öffnungen und der kleine Innenhof...
Ich kann nicht genau sagen warum, aber in vielen meiner Arbeiten beziehe ich mich auf die Moderne. Vielleicht liegt es daran, dass die Moderne so stark in meine Kindheit hineinspielte oder dass letztendlich die Moderne ja fast alles sein kann, was mit einem Umbruch zusammenhängt. Das Wort selbst spricht ja von Gegenwart, von Neuzeit, von einem Irgendwie-mit-dabei-Sein in einer neuen Zeit und hatte genau deshalb auch viel mit meiner Vergangenheit im Osten zu tun.
‚Zukunft‘ war in der DDR eine wichtige Größe. Man bezog sich immer auf Entwicklungen, die erst noch kommen sollten. Wir lebten im real existierenden Sozialismus, aber jeder wusste, ‚das war eine Übergangszeit‘, irgendwann würde der Kommunismus kommen, in dem es kein Eigentum mehr geben sollte. Das Wort ‚Zukunft‘ gewann dadurch an Bedeutung. All die Bücher, die es in meinem Bücherschrank gab, hatten etwas mit der Reise in die Zukunft, ins All oder der Erforschung von etwas zu tun. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass mich die Russische Moderne und der Konstruktivismus so berührten. Und dann ist da noch ihr tragisches Scheitern. Es fiel mir nicht schwer, mich darauf zu beziehen. Bei Mies war es anders, er war zum Schwergewicht geworden. Nachdem er Deutschland in der Nazizeit hatte verlassen müssen, gehörte er dann zu den führenden Architekten in den USA.
 
 
WN    Haben auch deine Archiskulpturen mit dem Thema Ost-Moderne zu tun?
KS    Der russische Konstruktivismus in den 1910er- und 20er-Jahren war auch eine politische Bewegung. Nach dem Motto: Wir bauen etwas, was es eigentlich nicht gibt. Wir erfinden ein neues Zusammenleben. Dieser Gedanke floss in der einen oder anderen Weise in meine Skulpturen mit ein. Meine großen Skulpturen waren anfangs begehbare Architekturmodelle, 1:1-Modelle, bei denen der Besucher unversehens auf eine Bühne gestellt wird und sich in einer Situation wiederfindet, in der er beim Beobachten beobachtet wird. Es lassen sich aber auch Ansätze aus Performancekonzepten der 1960er-Jahren in ihnen finden.
WN    Kommen wir zurück zur Ausstellung: Die grüne Glasskulptur Rungholt scheint formal wieder den Bogen zur Klassischen Moderne zu schließen. Du bist ja über die Thematik „Glas“ in die von Julius Weiland konzipierte gleichnamige Ausstellungsreihe ins Programm des Hauses gekommen: Was bekommen die Besucher hier zu sehen, Glasskulpturen oder Rauminstallationen, oder beides?
KS    In der Ausstellung berühren sich zwei Themen. Als erstes natürlich das Thema Glas und dann die Frage meines Umganges mit Mies van der Rohe und mit der Moderne. Anfangs konnte ich mir vorstellen, eine Brücke zwischen beiden zu schlagen. Später erschien mir die Brücke eher wie eine Grätsche, ein Spagat, der schwer zu halten war, und jetzt bleibt es einfach beim Glas.
WN    Was reizt dich eigentlich so am Material Glas?
KS    Bei Glas, wie auch bei Wasser, kannst du durch die Oberfläche hindurchschauen. Glas ist dem Abwesenden verwandt. Normalerweise endet die Sichtbarkeit direkt an der Oberfläche von allem. Dahinter fangen die Vorstellungen und Mythen an. Und beim Glas gibt es plötzlich dieses Darinnen, dieses Dahinter. Man schaut ins Material hinein, da ist eine Blase, tiefer drinnen wird es dunkler und dann bildet sich plötzlich negativ die Rückseite ab. Das heißt: Da wird etwas hinzugefügt, was sich an der Oberfläche bricht. Wo das Unsichtbare und die Vorstellungen anfangen, beginnt dieses verführerische Schimmern. Von dort ist es dann auch nicht mehr weit bis zu einer Arbeit wie Rungholt. Rungholt ist Teil einer Reihe von Skulpturen, die sich auf im Meer versunkene Städte beziehen. Vineta, Rungholt, Rethra, Ys sind einige dieser Orte, die seitdem, halb sagenhaft, halb historisch, den Horizont der Nord- und Ostsee mit Fantasien beleben. Da geht es um Projektionen: etwa die Hybris einer Stadt und die darauf folgende Katastrophe als Strafgericht der Götter, die von den Folgen der Vermessenheit und dem Hochmut der Bürger der Stadt erzählt. Dieses Imaginieren der Städte unter Wasser, so erscheint es mir, ist der Betrachtung der Glasskulpturen ähnlich.
WN    Du störst dich nicht daran, dass das Material Glas mit seinen besonderen Eigenschaften vielleicht auch zu schön wirken könnte?
KS    Das ist grade ein interessanter Aspekt: der Hang zum Kunstgewerblichen, zur Veredelung. Das andere, was Glas so anziehend für Skulpturen macht, ist, dass sich der Prozess der Umsetzung nur sehr schwer steuern lässt und dabei eigentlich fast nie das Erwartete entsteht. Meine Skulpturen sind meist groß und grob. Manchmal gibt es eine Fläche, die wie ein Fenster poliert wird. Diese Arbeiten haben eine starke Verbindung zu meinen partizipativen Skulpturen. Sie laden den Besucher ein, lächeln ihn erst mal an, wecken das Begehren. Sie verhalten sich so, als wollten sie mit dem Betrachter die Position tauschen, ihn zum Erstarren zwingen.
WN    Deine Glasskulpturen werden in Böhmen auf traditionelle Weise in einer Werkstatt in Handarbeit hergestellt. Die einzelnen Schritte bei der Fabrikation des Glases bleiben sichtbar. Du spielst mit der Materialität und thematisierst die Bearbeitungsspuren. 
KS    Wo endet das Kunstwerk und wo fängt es an? Natürlich sind die Glasskulpturen das Endprodukt. Andererseits sind sie ein Speicher und Zeugen der Herstellung, und der Prozess der Herstellung wiederum ist auch ein Prozess der Aufladung. In eine solche Skulptur, fließt eine Menge Zeit, Geld und Energie, es fließt eine ganze Kette von Kulturtechniken hinein. Erst kommt die Zeichnung, dann wandelt sich die Idee in ein Modell aus Styropor um. Das wird zu den Glasmachern transportiert, wo ein Silikonabdruck entsteht. Der wird zur Gussform, die mit Glasstücken befüllt in den Ofen kommt und bei circa 1000 Grad in die Form schmilzt. Dieser Prozess kann bis zu vier Wochen dauern. Danach kommt die Skulptur erkaltet aus dem Ofen, wie ein roher Diamant in weißem Zuckerguss. Dieser wird beseitigt, manchmal werden Überstände abgetragen, manchmal wird etwas poliert oder geklebt. Du siehst, es ist ein sehr langer Prozess, bei dem eine Menge schiefgehen kann. Immer wieder wird die Form in ein anderes Medium übersetzt. Hinzukommt, dass alle Beteiligten eigene kulturelle Vorstellungen vom möglichen Ergebnis haben. Diese fließen genauso in die Skulptur mit ein und beeinflussen das Ergebnis. Alle diese Tätigkeiten bleiben in der einen oder anderen Weise in der Skulptur sichtbar.
 
 
 

WN    Lass uns noch über die Arbeiten sprechen, die aus diesem Rahmen fallen. Du zeigst hier erstmalig in einer Ausstellung zwei Köpfe. Sie sind aus Biskuitporzellan gearbeitet und haben in der Stirn eine Glasintarsie.  
KS    Genau. In diesem Fall mache ich es nicht aus Glas, sondern aus farbigem Kunststoff. Das ist mein kleiner Tribut an das Thema der Moderne. Diese Skulpturen sind aus einem Geist heraus entstanden, den ich mit dem Aufkommen der Moderne verbinde.  
WN    Inwiefern?
KS    Die Moderne hat viel mit Architektur zu tun, ob es sich um Malerei handelt, um Skulptur oder um Farbenlehre. Die Architektur wird als einzigartige Kunst- und Kulturrichtung wahrgenommen, eben wie das Beispiel dieser Villa. Auf der anderen Seite brauche ich nur aus dem Fenster zu schauen, dann sehe ich diese Plattenbauten, in denen sich auch die Idee des Bauhauses wiederfindet. Sie sind jedoch nicht nur der Verbindung von Ästhetik und Funktionalität, sondern vor allem der Ökonomie der Zeit geschuldet und haben kaum noch eine Verbindung zu dieser herrlichen Villa.
WN    Und die Köpfe?
KS    Das ist eine persönliche Geschichte. Ich verbrachte die Sommerferien immer bei meinen Großeltern. Es war eine großartige Zeit, weil ich viel mir selbst überlassen war. Meine Großeltern wohnten in der Nähe von Gotha, in Neudietendorf. Sie hatten im Wohnzimmer über dem Fernseher Porzellanrepliken von den berühmten Stifterfiguren aus dem Naumburger Dom. Ich war fasziniert von diesen zwei Köpfen, die vom Mittelalter zeugen sollten und über dem West-Farbfernseher hingen.

 
 
 
 
WN    Und jetzt stehen Reminiszenzen an diese Figuren, mit einer Einlegearbeit versehen, in deiner Ausstellung?
KS    Ich verwende in der Ausstellung andere Porzellanköpfe, die nicht so direkt auf die Uta weisen, denn die Uta ist in den 1930er-Jahren zur Nationalikone und First Lady der Deutschen stilisiert worden. Aber die ursprüngliche Idee der Arbeit bezieht sich auf die originale Stifter-Figurengruppe aus dem Naumburger Dom mit der schönen Uta und dem Ekkehard. In den 1930er-Jahren fing man jedoch an, die Uta als Wandbüste oder Fotografie millionenfach zu vervielfältigen, sie fand sich so in vielen Wohnzimmern als Replik wieder. In dieser Vervielfältigung steht die Uta-Figur eben nicht für das Mittelalter, sondern für ihren Missbrauch in der Moderne.
WN    Wie passt das mit dem Mies van der Rohe Haus zusammen?
KS    Die Moderne und die industrielle Massenproduktion sind Teil voneinander. Das Haus Lemke ist da eher ein Sahnehäubchen der Moderne.
WN    Und in den Köpfen für die Ausstellung bringst du diese Welten nun zusammen?
KS    Ich zitiere Bauhaus-Malerei, wie Walter Dexel oder El Lissitzky, und diese Zitate werden auf die Gesichter projiziert und als Intarsie eingelegt. So treffen in der Skulptur zwei verschiedene Arten von Kulturverständnis zusammen, die fast unabhängig voneinander, aber zur gleichen Zeit nebeneinander existierten. Der Schlüssel ist die industrielle Produktion.
 
WN    Über die Jahrhunderte und Stilrichtungen hinweg hast du in einer Collage das zusammengebracht, was unmöglich zusammengehört. Ist das auch eine Kritik an erstarrten Formen?
KS    Das ist Sampling. Man legt eins in das andere, blendet sie ineinander und plötzlich entsteht etwas Drittes. Manchmal funktioniert es.
WN    Vielen Dank für das Gespräch
 
 
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