Dienstag, 24. April 2018

Kai Schiemenz, "Once Over Easy"


Once Over EasyGalerie EIGEN + ART LeipzigExhibition: April 14 – June 16, 2018







exhibition view, photo: Otto Felber




Truly, Kai Schiemenz cannot be accused of indissoluble loyalty to genre and material. With him, everything is subject to a free volatility, from wood through steel to mixed materials,  implemented and realized in installations, large constructions, and objects. Whereas he built whole stage sets, theaters, and arenas out of wood or tossed out steel beams as pick-up sticks of light, most recently he has been busy with glass, this undercooled glossiness and its magical ability not only to let brightness and light through, but also to store light auratically: volumetric compositions, exposed to the alchemical play of a hardly calculable coloration of this archaic material. This testified to a beauty of objects, which was long scorned as a concept and goal.





left: Ane Titec (Kaktus), 141 x 95 x 39 cm
right: o.T. (Große Moderne), 2018
132 x 33 x 33 cm




 


 
exhibition view, photo: Otto Felber
In Leipzig, Schiemenz shifts to yet other materials and other forms of presentation, to artificial marble bound in Acrystal resin and poured into cardboard; remnants remain attached, torpedoing the smooth wholeness. These compositions are not strictly geometrical, but free abstractions of the volumes. But added to this is a series – no, a whole collection – of more sculptures that pose riddles. Here a hand, there a head, in the back an arm fragment. What is this, what drives these searching movements in material and arrangement? Astonishingly enough, the Leipzig assembly displays a turn toward representational, figurative depiction. Suddenly arms grow on a constructivist sculpture. The logical construction of the directions and forces is reformulated into a sensual body. Here, a narrative aspect enters the design that, from a distance and approximately, says: Thou shalt make unto you an image again, return from the emptiness of abstraction to fleshly-pictorial fullness. Is this the case?











In a conversation, Schiemenz and I found ourselves in a dispute over two German terms – and at our limits. I asked him what he calls his objects, Skulptur or Plastik. Skulpturwas his prompt answer, before a quiet hesitation began; Plastikwas too Western, in his view. All of a sudden, Germany's division echoed and fulminated through the art space, the bad sign of 20th-century German history, because my feeling for language, too, wanted to place Skulpturand Plastikto the east and west of the Wall, respectively. Neither of us found the precise thought. Because already around 1900 – that is, long before the later political confusion – the encyclopedias wrote that "the terms Plastik, Skulptur, and Bildhauereiare usually used synonymously". Hardly any specialists still adhere to the distinction that a Plastikinvolves adding material (for example, clay), while a Skulpturarises through the elimination of material (chiseling, blows, hollowing). Decisive is that both are forms of Bildhauerei– and this term should be carefully considered, as well, because it is seldom used anymore. Hauen– to hit or hammer; Bild – a picture. Physically active chiseling, thinning, squeezing, hitting, always to bring a picture into the world. Apparently, Kai Schiemenz is on his way to this, on the threshold from abstraction to concretion, from the informal to the corporeal.


Ineinander, Kreuzbein, 2018
Terrazzo, Pigment, Keramik
48 x 30 x 12,5 cm
WV Nr.:KS/18/004

Ineinander, Brustbein, 2018
Terrazzo, Pigment
37 x 35 x 12 cm

Ineinander, Rücken, 2018
Terrazzo, Pigment, Keramik
54 x 26 x 18 cm

 
Ineinander, Kreuzbein, 2018
Terrazzo, Pigment, Keramik
48 x 30 x 12,5 cm








But after the century of abstraction, this doesn't seem to develop without fright and violence. In the room stands a small sculpture titled "Rumpelstiltskin". It is a harmonious, dancer-like figure with beautiful proportions. The overlong arms rise from short, stamping legs, in order to – well, what? To tear in two the head, which has already cloven appallingly. Rumpelstiltskin is a Lar, one of the unobtrusive gods whose task is to protect the threshold and who is to be respected, tended, and listened to. He is the magician of transitions, until he himself is unmasked, exposed, and cleared up by name in the literal sense.








But precisely this sculpture is made of plasticine, an impermanent material; Kai Schiemenz takes his threshold lore to the point that he lets its gods disappear again immediately. Is this the enigma of the exhibition's mysterious title, which, obstreperous and banal at the same time, refers to flipping a fried egg and letting it turn and twist? Picture and representationalism – turned once more and fried again from the other, the abstract side? Who can know?

Text by Gerwin Zohlen

Translated by Mitch Cohen
 

Der pathetische Körper, 2018
Plastilin, Gipsbinden
86,5 x 80 x 20,5 cm

 
Erste Rückbesinnung, 2018
Plastilin, Styropor, Gipsbinden
17 x 16 x 14 cm

Schwellenkunde.




Unverbrüchliche Gattungs- und Materialtreue wird man Kai Schiemenz wahrlich nicht vorhalten können. Alles unterliegt bei ihm einer freien Volatilität, von Holz über Stahl zu Mischmaterialien, umgesetzt und verwirklicht in Installationen, großen Konstruktionen und Objekten. Baute er aus Holz ganze Stage-Designs und Theater und Arenen oder warf Stahlträger als Lichtmikado aus, so war er gerade eben noch mit Glas, dieser unterkühlten Schmelze und ihrer magischen Fähigkeit befasst, Helligkeit und Licht nicht nur durchscheinen zu lassen, sondern sie vielmehr auch auratisch speichern zu können; volumetrische Kompositionen, ausgesetzt dem alchemistischen Spiel einer kaum berechenbaren Färbung des archaischen Materials. Das zeugte, was als Begriff und Ziel lange verpönt war, eine Schönheit der Objekte.





Ane Titec (Kaktus), 2018
Acrystal, Pigment
141 x 95 x 39 cm

 
 
 


In Leipzig wandert Schiemenz wiederum zu anderen Materialien und anderen Darbietungsformen weiter, zu Marmorit, gebunden in Acrystal und in Pappe gegossen; Reste bleiben hängen und torpedieren die glatte Ganzheit. Es sind wiederum Kompositionen, nicht in strenger Geometrie, sondern in freier Abstraktion der Volumina. Dazu aber tritt eine Reihe – nein, eine ganze Ansammlung weiterer Skulpturen und Plastiken, die Rätsel aufwerfen. Hier eine Hand, dort ein Kopf, dahinten ein Armfragment. Was ist das, was treibt diese Suchbewegungen in Material und Arrangement? Erstaunlich genug zeigt sich in der Leipziger Zusammenstellung eine Hinwendung zur gegenständlichen, figürlichen Darstellung. Einer konstruktivistischen Skulptur wachsen auf einmal wieder Arme an. Die logische Konstruktion der Richtungen und Kräfte wird reformuliert zum sinnlichen Körper. Hier tritt ein narratives Element in die Gestaltung ein, das von Ferne und in Etwa besagt, du sollst dir wieder ein Bildnis machen, kehre aus der Leere der Abstraktion zurück in die fleischlich-bildhafte Fülle. Ist dem so? 
 
30. September, Großer Sieg, 2018
Plastilin, Styropor, Gipsbinden
24,5 x 14,5 x 15 cm


Ineinander, Großer Rücken, 2018
Biskuitkeramik, Styropor, Gips
92,5 x 32 x 29,5 cm

 
 
Erneute Rückbesinnung, 2018
Plastilin, Styropor, Gipsbinden
30,5 x 17 x 17 cm


Bei einem Gespräch gerieten Schiemenz und ich über zwei Begriffe in einen Disput – und an unser beider Grenze. Wie er selbst seine Objekte bezeichne, als Skulptur oder Plastik fragte ich ihn. Skulptur war seine prompte Antwort, bevor ein leises Zögern einsetzte; Plastik sei ihm zu westlich. Auf einmal echote und wetterte die deutsche Spaltung durch den Kunstraum, das Malus der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert, denn auch mein Sprachgefühl wollte Skulptur und Plastik gern östlich und westlich der Mauer verorten. Beide verfehlten wir den genauen Gedanken. Denn bereits um 1900, also lange vor den nachfolgenden politischen Wirren definierten die Enzyklopädien, dass „die Begriffe Plastik, Skulptur und Bildhauerei meist gleichbedeutend gebraucht werden." Kaum noch Spezialisten, die der Unterscheidung frönen, dass die Plastik im engeren ein An-Schaffen des Materials (Bsp. Ton) bezeichnet, während die Skulptur durch ein Weg-Schaffen (Meißeln, Hauen, Höhlen) entsteht. Entscheidend ist, dass es beides Formen der Bildhauerei sind – und diesen Begriff sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen, da er selten noch gebraucht wird. Ein Bild hauen. Das physisch-tätige Meißeln, Dengeln, Quetschen, Schlagen stets, um ein Bild in die Welt zu setzen. Auf dem Weg dorthin befindet sich Kai Schiemenz offenbar, auf der Schwelle von der Abstraktion zur Konkretion, vom Informellen zum Körperlichen.
 
 
Höchste Bejahung, 2018
Plastilin, Styropor, Gipsbinden
50 x 24 x 16 cm



 



Doch scheint das nach dem Jahrhundert der Abstraktion nicht ohne Schrecken und Gewalt zu gehen. Im Raum steht eine kleine Plastik mit dem Titel Rumpelstilzchen. Es ist eine harmonische, tänzerische Figur schöner Proportionen. Die überlangen Arme erheben sich auf kurzen stampfenden Beinchen, um – ja, was? Um sich den Kopf entzweizureißen, der sich bereits auf entsetzliche Art gekluftet und gespalten hat. Rumpelstilzchen ist ein Lar, eine der unscheinbaren Gottheiten, die zum Schutz der Schwelle bestimmt sind und beachtet, gepflegt, gehört werden wollen. Er ist der Magier der Übergänge, bis er selbst enthüllt, entlarvt und namentlich im buchstäblichen Sinn aufgeklärt wird.


Ausgerechnet diese Plastik aber ist aus Plastilin, einem vergänglichen Material – soweit treibt Kai Schiemenz seine Schwellenkunde, dass er ihre Gottheiten gleich wieder verschwinden lässt. Liegt hierin auch das Geheimnis des rätselhaften Titels der Ausstellung, der aufmüpfig und banal zugleich besagt, das Spiegelei flippen, springen, sich drehen und wenden zu lassen? Bild und Gegenständlichkeit – noch einmal gewendet und von der anderen Seite, der abstrakten gebacken? Wer weiß das schon.
Text: Gerwin Zohlen