12.9. – 9.11.2024
Eröffnung: Do, 12.9., 17–20 Uhr
EIGEN + ART: Bereits im letzten Jahr hast du einen Katalog mit dem Titel „Priel“ herausgebracht. Inwiefern beruht diese Ausstellung auf den in diesem Katalog beschriebenen konzeptionellen Ideen und wie werden sie inhaltlich weiterentwickelt?
Kai Schiemenz: Das Wort „Priel“ wird für die Beschreibung eines Wasserlaufs im Watt verwendet, der durch die Gezeiten entsteht. Teils ist er sichtbar und dann wieder bei Flut nur als Strömung unter der Meeresoberfläche wahrzunehmen. Priele sind Ausspülungen von sich immer weiter verzweigenden, mäandernden Flussläufen. Das ist erst einmal ein Bild, das mir gut gefällt: Ein Fluss, der ins Meer strömt und durch den Mond und dessen Anziehungskraft einen neuen Charakter erhält. Ähnlich verhält es sich bei meiner Arbeit mit Glas. Hier änderte ich die Arbeitsweise und damit wandeln sich die Parameter und das entstehende Werk. In diesem Sinne ist der Ausstellungstitel Programm und Fortsetzung dessen, was im Katalog „Priel“ angelegt ist.
exhibition view |
E+A: Du sprichst das Material Glas an, mit dem du dich schon lange beschäftigst und das auch hier sehr präsent ist. Dieses Mal ist es in neuartige Formen gebracht, die selbst auf sehr ausdrucksstarken Sockeln ruhen. Und sie werden gemeinsam mit Skulpturen aus anderen Materialien gezeigt. Wie kam es zu dieser Veränderung bei deinen Arbeiten und was bedeutet sie für dich?
Kai Schiemenz: Die neuen Skulpturen sind aus Glas geblasen, anders als die früheren Arbeiten, die meist in Glas gegossen sind. Sie sehen, obwohl sie aus dem gleichen Material bestehen, völlig neu aus. Die Veränderung in der Methode lässt sich vielleicht mit einem Skilangläufer vergleichen, der sich entscheidet, in die Disziplin Abfahrtslauf zu wechseln, vielleicht weil er gelangweilt ist, vielleicht um etwas Neues auszuprobieren und seine Erfahrungen zu erweitern. Die Abfahrt ist dabei wesentlich schneller und die Zeit, bis er unten ankommt, recht überschaubar. Ähnlich verhält es sich beim Glasblasen: Die Geschwindigkeit bei der Umsetzung ist eine ganz andere als beim Guss, der oft Monate braucht. Hinzu kommt, dass ich kaum Erfahrungen in dieser neuen Arbeitsweise hatte, was gewisse Freiheiten schafft. Ich machte Dinge, die gemeinhin vermieden werden. Ich tat dies aus Unwissenheit und um der Logik der Herstellung zu entgehen. Vernünftig ist das vielleicht nicht. Aber Vernunft ist eben nicht alles.
E+A: Die Skulpturen, die dadurch entstehen, scheinen stark vom Zufall bestimmt zu sein. Auch können die Betrachtenden, was zum Beispiel ihr Gewicht betrifft, sie kaum einschätzen. Wie würdest du für dich das Ergebnis beschreiben?
Kai Schiemenz: Unvorhersehbar! Beim Glasguss ist das Modell essenziell und ein wesentlicher Teil des Werkes. Beim Glasblasen scheint es der Anlass zu sein. Das Wesen der Skulptur ist nun der Verlauf, der sich durch die rasche Abfolge von Entscheidungen herausbildet. Wenn „Priel“ eine Ausspülung ist, würde ich diesen Vergleich mit der Bewegung auf dem Wasser in einem Delta ergänzen. Wenn ich auf einem Schiff in Richtung Meer fahre, muss ich mich an jeder Verzweigung des Flussdeltas neu entscheiden. Ich kann auf dem Weg zum Meer den rechten oder den linken Abzweig nehmen. Das ist bei der Herstellung der Skulptur ähnlich: Ob ich rechts oder links langfahre, am Ende komme ich im Meer an, sofern ich nicht im Sumpf stecken bleibe. Es ändert sich bei jeder Abzweigung die Klangfarbe und Tonalität. Erst brummt sie, dann fängt sie zu knistern an und macht sich gemein, später wiederum ist sie schüchtern und zurückhaltend.
E+A: Du beschreibst, wie die Glasarbeiten im neuen Kontext zu sprechen beginnen: Welche Art der Kommunikation gehen sie mit den Materialien der anderen Skulpturen ein? In welcher Verbindung stehen sie zueinander?
Kai Schiemenz: Der Beginn für die Ausstellung waren die in Glas geblasenen Skulpturen. Bei ihrer Herstellung entstanden Modelle in Styropor, Negativformen in Stahlblech und verschiedenste Derivate blieben übrig. Bruchstücke, die wieder Skulpturen wurden und in Verbindung zum Rest stehen. Styroporteile mit Löchern, Zylinder, die auf verunglückten Gussversuchen liegen. Für mich ist das eine Landschaft aus Versuchen – ein sehr romantischer Gedanke.
Tentalo Salvataggio, 2024, Glas 92 x 18 x 20 cm |
Ane Titec (Glas), 2024, Glas 73 x 22 x 18 cm |
ohne Titel (Modellfabrik), 2024, Glas, Keramik, Beton 82 x 38 x 23 cm |
Bell the cat, 2024, Glass 108 x 27 x 27 cm |
Kai Schiemenz Dizzying Delights, 2024 Glass 56 x 18 x 12 cm |
EIGEN + ART: Last year, you published a catalog titled “Priel”. To what degree is this exhibition based on the concepts described in this catalog, and how have you further developed them substantively?
Kai Schiemenz: The word “Priel” is used in German to describe a narrow channel in a mudflat created by the tides. It is sometimes visible at low tide, but then at high tide perceptible only as a current under the surface of the sea. Such tideways are out-flushings from continuously branching, meandering river courses. In the first place, this is an image I like: a river that flows into the sea and takes on a new character because of the moon and its gravity. My work with glass is similar. Here I altered my work method, and with it the parameters and the emerging artwork. In this sense, the title of the exhibition is programmatic and a continuation of what is inherent in the catalog “Priel”.
Kai Schiemenz Meine Zuversicht, 2024 Glass 34 x 19 x 17 cm |
Kai Schiemenz: The new sculptures are blown from glass, unlike my earlier works, which were usually cast in glass. Although they are made of the same material, they look entirely new. Maybe the change in my method can be compared to a cross-country skier who decides to shift to the downhill discipline, maybe because he is bored, maybe because he wants to try out something new and expand his experience. Downhill skiing is thereby much faster, and the time before he arrives at the bottom is quite short. It’s similar with glass-blowing: the speed of implementation is quite different from when you cast glass, which often takes months. In addition, I have little experience with this new work method, which entails certain freedoms. I did things that are normally avoided. I did that out of ignorance and to avoid the logic of production. Maybe that’s not rational. But rationality isn’t everything, after all.
E+A: The sculptures that result seem to be greatly influenced by chance. And viewers can hardly judge their weight, for example. How would you describe the result for yourself?
Kai Schiemenz Drei Sterne, 2024 Resine 52 x 30 x 8 cm |
Kai Schiemenz:: Unpredictable! When casting glass, the model is essential and a fundamental part of the work. When blowing glass, the occasion is what’s important. The essence of the sculpture is now the process, which emerges through the rapid sequence of decisions. If “Priel” is a flushing out, then I would supplement this comparison with the motion on the water in a delta. If I sail on a ship toward the sea, I have to make a new decision at every branching of the river delta. I can take the right or the left branch on my way to the sea. It’s similar when producing a sculpture: whether I take the right-hand or the left-hand branch, ultimately I reach the sea, unless I get stuck in a swamp. The timbre and tonality changes at every branching. First it grumbles, then it crackles and acts mean, later, in turn, it turns shy and reserved
E+A: You describe how the glass artworks begin to speak in this new context. What kind of communication do you engage in with the materials of the other sculptures? In what relation do they stand to each other?
Kai Schiemenz:: The beginning for this exhibition were the sculpture of blown glass. In their production, models in Styrofoam, negative forms in sheet steel, and various derivatives were left over. Fragments that became sculptures in their turn and that stand in relation to the rest. Pieces of Styrofoam with holes, cylinders lying on unsuccessful casting attempts. For me, this is a landscape consisting of experiments – a very romantic idea.
Kai Schiemenz Un Terrain Vague, 2024 Glass, bronze, concrete 50 x 18 x 22 cm |
Tilted Blocks I, 2024 Glass 28 x 17 x 17 cm |
Kai Schiemenz Tilted Blocks II, 2024 Glass 28 x 11 x 18 cm |
https://www.eigen-art.com/files/KaiSchiemenz_Overview.pdf
Berlin Art Week
11.–15.9.2024
Galerie EIGEN + ART
Auguststraße 26 . 10117 Berlin
@galerie_eigenart
www.eigen-art.com