Glas und Beton
Manifestationen des Unmöglichen
Ausstellung im marta-herford.
5 Fragen an Kai Schiemenz
Wie seltene Kristalle in einem Naturkundemuseum oder Bonbons in einer
Süßwaren-Manufaktur wirken die bunten Glasskulpturen von Kai Schiemenz.
Der Künstler verrät in diesem Gespräch, wie aufwendig die Herstellung
ist, welches Geheimnis die Sockel bergen und was seiner Meinung nach der
Reiz an der Arbeit mit Glas ist.
Welche Idee steckt hinter den ‚Big Four Colurs II‘, die aktuell in der Marta-Ausstellung „Glas und Beton“ zu sehen ist?
Im Marta ist von mir eine Art Landschaft aus Betonsockeln zu sehen, auf der verschiedene Skulpturen platziert sind. Die ‚Big Four Colours‘ ist eine von sechs Skulpturen. Sie lässt sich aufgrund ihrer kristallinen Form im Zusammenhang mit den anderen Skulpturen lesen, die Abgüsse von Basaltbruchstücken sind. In einem anderen Zusammenhang könnte man sie sicher auch wieder anders verstehen. Was könnte eine Idee dazu sein? Da gibt es diese herrlichen Farben, die an Kandiszucker erinnern. Dann das Glas, das in einer bestimmten Weise das Licht durchscheinen lässt und in dem sich die unterschiedlichen Farben ineinander brechen. Je nach Lichteinfall scheint es sein Aussehen zu verändern. Einmal schimmert es von innen, dann wieder wird die Oberfläche undurchsichtig wie Stein. Dann kann man beim Betrachten der Oberfläche den Prozess der Herstellung erkennen: Hier wurde etwas weggeschnitten, da etwas zugefügt oder zusammengeklebt. Die Oberfläche funktioniert als ein Archiv seiner Entstehung. Man sollte dazu wissen, dass die Skulpturen im Atelier erst als Modelle in Styrodur gefertigt werden, was ein Material ist, das zum Dämmen von Dächern benutz wird. In einem zweiten Prozess, dem Guss, entsteht dann die Skulptur.
Wo fertigst Du Deine Glasskulpturen und wie aufwendig ist ihre Herstellung?
Den Guss selbst mache nicht ich. Gegossen wird in einer Manufaktur in Böhmen in einer sehr klassischen Weise. Die Glasgießer machen einen Silikonabdruck vom Modell. Dieser dient dann als Gussform, die mit Glasstücken befüllt in den Ofen kommt. Diese schmelzen bei circa 1.000 Grad. Dieser Prozess kann bis zu vier Wochen dauern, je nach Stärke der zu gießenden Skulpturen. Das Erkalten erfolgt sehr langsam. Danach kommt der Skulpturrohling aus dem Ofen und sieht aus, wie ein roher Diamant in weißem Zuckerguss. Dieser wird beseitigt, manchmal werden Überstände abgetragen, manchmal wird etwas poliert oder geklebt. Das ist ein sehr langer Prozess, bei dem eine Menge Unerwartetes passieren kann. Immer wieder wird das Skulptur-Modell in eine andere Form übertragen. Hinzukommt, dass alle Beteiligten ihre eigenen kulturellen Vorstellungen vom möglichen Ergebnis haben. All das fließt in die Skulptur mit ein und beeinflusst sie.
Während der Reiz der Glasskulpturen besonders aus den sichtbaren Spuren ihrer Herstellung besteht, sind die Basalt-Sockel auffallend gleichmäßig gestaltet. Ist die Perfektion der Sockel ein bewusster Kontrast zu der ursprünglichen Rohheit ihres Materials – so wie die groben Ecken und Kanten des Glases ein bewusster Kontrast zu dem eigentlich geschmeidig-fließenden Eigenschaften des Materials darstellen?
Die Basaltsockel sind eigentlich Betonsockel und sie sind ein wenig dem Prozess der Herstellung geschuldet. Meine Arbeit im Marta hat einen ortsspezifischen Aspekt, und hält sich irgendwo zwischen Skulptur und Installation auf. Im Zentrum des Ausstellungsraumes habe ich eine Landschaft entstehen lassen, einen kleinen Hügel mit farbigen Steinen. Dafür war mir wichtig, dass die Sockel leicht zu bewegen sind. Die Betonsockel sind also nichts anderes als ‚Scheinriesen‘, die fast nichts wiegen, denn nach einer dünnen Schicht Beton, kommt ein großer Styroporkern. Wären sie in grobem Beton gegossen, könnte man sie nur mit dem Gabelstapler bewegen und der Aufbau hätte nicht so einfach funktioniert. Für den Transport der Arbeiten wäre ein Tieflader benötigt worden, was das Budget gesprengt hätte. Letztendlich gefällt mir die entstandene Oberfläche. Sie sieht einerseits wie ein Naturprodukt aus, andererseits aber wirkt sie künstlich. Auch wenn man nicht spürt, dass die Sockel kaum Gewicht haben, traut man ihnen nicht wirklich.
Welchen Stellenwert nimmt für Dich das Erkunden und Experimentieren mit Materialien in Deinem künstlerischen Prozess ein?
Mit Glas zu arbeiten ist immer ein Experiment. Ich beschreibe es gern mit ‚Tappen im Dunkeln‘. Denn streckenweise weiß ich nicht, was ich eigentlich tue und oft hoffe ich, dass sich der Prozess in die richtige Richtung bewegt. Es gibt grobe Richtlinien denen ich folge, aber das Material ist spröde und hat ein Eigenleben. Häufig führen grade die Ergebnisse von Entscheidungen, die nicht wie erwartet funktionieren, zu etwas Neuem. Ähnlich ist das Arbeiten im Atelier, das als ein stimmungsabhängiges Tüfteln und Probieren zu verstehen ist. Man erzeugt Krisen, um sich da wieder herauszuarbeiten und um da hin zu kommen, wo man vorher noch nicht war. Anderseits trifft man wieder Entscheidungen und hofft, dass sie sich zu einem Bild oder zu einer Erzählung, wie in einem Puzzle, fügen. Manchmal klappt das, oft nicht und wie beim Glas entsteht aus Verworfenem oft Neues.
Deine Werke wirken wie sehr seltene Kristallfunde in einem Naturkundemuseum. Wird dieser Eindruck von Dir bewusst hervorgerufen?
Warum nutzt man einen Formenkanon, warum ein Material? Das lässt sich nicht eindeutig erklären. Ich könnte sagen das kommt daher, weil mein Vater, der Mineraloge ist, mit mir Ausflüge in Steinbrüche machte und ich darüber eine Faszination zu Steinen entwickelte. Als Kind fing ich an, Steine zu sammeln. Steine verhalten sich, ähnlich wie Wolken, wie Projektoren der eigenen Vorstellung. Beim Glas hat man oft eine kristalline Erscheinung, auch wenn Glas eigentlich nichts mit Kristallen zu tun hat. Glas ist eher dem Abwesenden verwandt. Normalerweise endet die Sichtbarkeit direkt an der Oberfläche. Dahinter fängt die Vorstellung oder die Einbildung an. Beim Glas gibt es hinter der Oberfläche ein Drinnen. Man schaut ins Material hinein, da ist eine Blase, tiefer drinnen wird es dunkler und dann bildet sich plötzlich negativ die Rückseite ab. Manchmal kann man sogar wieder hinausschauen und sieht verzerrt den Raum dahinter. Das heißt: Es wird etwas hinzugefügt, was sich an der Oberfläche bricht. Wo das Unsichtbare und die Vorstellungen anfangen, beginnt ein verführerisches Schimmern.
Kai Schiemenz, Big Four Colours, 2015 |
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